• Unterrichten mit Kopftuch: Eine Lehrerin schildert ihre Erfahrungen.
    Unterrichtet mit Kopftuch: Subeida Renz ist Grundschullehrerin in Hamburg und unterstützt Kinder mit Förderbedarf. Foto: Privat

Unterrichten mit Kopftuch

Pädagogin: „Es geht um die Lerninhalte, nicht um mich“

2015 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Eine junge Lehrerin hat in der Praxis andere Erfahrungen gemacht.

Eine Schule in Hamburg, freundlicher Austausch, gerade haben sie darüber gesprochen, um wie viel Uhr sie anfangen soll. Subeida Renz freut sich, sie hat die Zusage für einen Praktikumsplatz, ein wichtiger Schritt im Lehramtsstudium. Doch schließlich, kurz vor Ende des Gesprächs, sagt die Ausbildungsbeauftragte: „Dann kommen Sie bitte ohne Kopftuch!“

So beschreibt Subeida Renz die Szene, die sie 2019 erlebt hat. Heute arbeitet die Sonderpädagogin an einer Grundschule in Hamburg und unterstützt Kinder, die in ihren sozialen und emotionalen Kompetenzen Förderbedarf haben. Geboren und aufgewachsen ist sie in Deutschland, ihre Familie kommt aus dem Libanon. Laut einer aktuellen Studie des unabhängigen Expert*innenkreises Muslimfeindlichkeit, der im Auftrag des Bundesinnenministeriums (BMI) arbeitet, stimmt jede zweite Person in Deutschland muslimfeindlichen Aussagen zu – der 32-Jährigen bereitet diese Entwicklung große Sorge. Ihr ist es ein großes Anliegen, Vorurteile in der Gesellschaft abzubauen.

Das Praktikumsgespräch hat sich in ihr Gedächtnis gebrannt: Nach der Aufforderung der Ausbildungsbeauftragten, das Kopftuch im Unterricht abzulegen, ist Renz schockiert. „Für eine Muslima, die sich mit ihrem Glauben identifiziert, ist das Kopftuch keine Mütze, die man mal eben absetzt“, sagt sie. „Ich war davon ausgegangen, dass das kein Thema mehr ist.“ Denn 2015 hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt: Ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

Renz sammelt sich, fragt nach den Gründen. Das Team in der Schule ist sehr offen und deshalb passt das Kopftuch nicht, heißt es. Außerdem wolle die Schule die Neutralität wahren und Schüler*innen nicht beeinflussen. Renz entgegnet selbstbewusst: „Ich bin auch ein sehr offener Mensch. Und meinen Sie nicht, dass ich die Schüler*innen genauso beeinflussen könnte, wenn ich ohne Kopftuch käme?“ Sie fordert die Ausbildungsbeauftragte auf, ihr die Entscheidung schriftlich zu geben.

Doch etwas Schriftliches gibt es nicht, stattdessen einen Anruf: „Die Schulleitung teilte mir mit, dass sie in meinem Fall für das Praktikum eine Ausnahme machen würde“, berichtet Renz. Sie sieht sich nun mit der Frage konfrontiert: Möchte ich den Praktikumsplatz unter diesen Bedingungen überhaupt annehmen?

Antidiskriminierungsstelle legt Bericht vor

„Menschen werden besonders dann wegen ihrer Religion diskriminiert, wenn diese von außen sichtbar ist“, schreibt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes auf Anfrage von #staatklar. Sie steht Menschen zur Seite, die aus verschiedensten Gründen Diskriminierung erfahren – etwa wegen Diskriminierungsmerkmalen, die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt. Dazu gehören: ethnische Herkunft und Rassismus, Geschlecht und Geschlechtsidentität, Religion und Weltanschauung, Behinderung und chronische Krankheiten, Alter sowie sexuelle Identität. Seit Juli 2022 leitet Ferda Ataman die Behörde, sie ist zugleich Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung. Unabhängig, weil sie anders als andere Bundesbeauftragte nicht auf Weisung der Bundesregierung handelt.

Ende Juni hat die Antidiskriminierungsstelle ihren Jahresbericht vorgelegt. Demnach sind 2022 mehr als 8.800 Beratungsanfragen eingegangen, so viele wie nie zuvor. Davon bezogen sich 6.627 Anfragen auf mindestens eines der sechs durch das AGG geschützte Diskriminierungsmerkmale. Diese lassen sich, Mehrfachnennungen inbegriffen, wie folgt aufschlüsseln:

  • Ethnische Herkunft: 43 Prozent
  • Behinderung: 27 Prozent
  • Geschlecht: 21 Prozent
  • Alter: 10 Prozent
  • Religion: 5 Prozent
  • Sexuelle Identität: 4 Prozent
  • Weltanschauung: 1 Prozent

Auf Diskriminierungsformen, die nicht durch das AGG geschützt sind, entfielen 2.200 Anfragen – darunter beispielsweise Diskriminierungen wegen des sozialen Status. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Gesamtzahl der Anfragen um 14 Prozent gestiegen.

„Dass Menschen den Mut haben, über Diskriminierung zu sprechen und sich Hilfe zu holen, verdient unsere Anerkennung“, sagt Ferda Ataman. „Und es zeigt, dass das Bewusstsein für Antidiskriminierung in der Bevölkerung wächst – ein wichtiges Zeichen gesellschaftlicher Reife und Integration.“

Sexuelle Belästigung: Viele Betroffene schweigen

Doch die Zahl der Anfragen zeigt auch, dass in vielen Bereichen Handlungsbedarf besteht. Beispiel: sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, insbesondere Frauen sind betroffen. „Aus unserer Beratungspraxis wissen wir, dass Betroffene von sexueller Belästigung sich zu selten und zu spät Hilfe suchen“, berichtet Ataman. Gründe seien Scham und die Angst vor Jobverlust. Betriebsinterne Beschwerdestellen und ein offener Umgang mit dem Thema könnten dazu beitragen, dass sich Betroffene Hilfe suchen.

Eine weitere Baustelle: die Integration von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt. „Die Ausschlüsse beginnen schon in der Schule“, unterstreicht Ataman. „Für viele Menschen mit Behinderung geht es von der sogenannten Förderschule direkt in Behindertenwerkstätten, wo sie sehr wenig Geld verdienen.“ Es sei extrem schwer, von dort in den regulären Arbeitsmarkt zu gelangen. Die Antidiskriminierungsstelle setze sich dafür ein, dass der Gesetzgeber den Anspruch im AGG verankert, Barrieren zum Arbeitsmarkt abzubauen.

„Jetzt erst recht!“

Als Sonderpädagogin arbeitet Subeida Renz heute dafür, dass kein Kind abgehängt wird – doch zurück ins Jahr 2019: Nach dem Telefonat mit der Schule, die ihr nun erlaubt, das Kopftuch im Unterricht zu tragen, notiert sie akribisch, was ihr widerfahren ist. Sie sucht das Gespräch mit der Universität, die ihr Rückendeckung gibt. Sie überlegt hin und her, ob sie das Praktikum machen möchte, der ganze Prozess zehrt an ihren Kräften. Und schließlich trifft sie ihre Entscheidung:

„Ich habe mir gesagt: Jetzt erst Recht! Ich wollte die Kinder unterrichten und zeigen, dass nichts Schlimmes passiert. Es geht um die Lerninhalte, nicht um mich.“

Sechs Wochen verbringt Renz in der Schule. Sie hat eine gute Mentorin, die sie bestärkt. Rückblickend ist die junge Lehrerin sehr froh, dass sie diesen Weg eingeschlagen hat. Später, im Referendariat, trifft sie ausschließlich auf Fachseminarleiter*innen, die ihr bis zum Ende der Ausbildung mit viel Engagement zur Seite stehen: „Sie haben mich einfach als Lehrkraft gesehen. Niemand hat mir die Frage gestellt: Wo kommst du her und warum trägst du ein Kopftuch?“

Dies sind für die 32-Jährige Hoffnungsmomente, die zeigen, dass in der Gesellschaft auch viel Positives passiert. Sie wünscht sich, dass der Staat Angehörige von Minderheiten ermutigt, den Lehrberuf zu ergreifen, und Unterrichtsmaterialien so gestaltet, dass sie die gesamte gesellschaftliche Vielfalt abbilden. „So können wir Vorurteile abbauen.“

Was Renz Menschen rät, die – egal in welcher Form –  Diskriminierungserfahrungen gemacht haben? „Das Gesetz schützt schon gut vor Diskriminierung. Aber es ist wertlos, wenn es nicht umgesetzt wird.“ Deshalb würde sie alle Betroffenen ermutigen, sich an Beratungsstellen zu wenden. Nicht zuletzt auch, um Sichtbarkeit zu schaffen.

Text: Christoph Dierking