• Vielfalt als Chance begreifen, nicht zuletzt auch im öffentlichen Dienst – dafür wirbt die AG Diversity der dbb jugend. Foto: Unsplash/William Fonteneau

LGBTQ+

Outing am Arbeitsplatz? – für viele Menschen noch immer ein Problem

Oft sind die Betroffenen unzufrieden und unglücklich, schreibt Henning Klemme von der AG Diversity. Er warnt vor den Folgen – und zeigt Wege auf, wie sich die Situation verbessern lässt.

Auch in diesem Jahr ist die AG Diversity der dbb jugend auf dem Cologne Pride gewesen, gemeinsam mit der Bundesjugendleitung und der komba jugend nrw. Und auch in diesem Jahr gab es wieder Fragen, warum wir als Gewerkschaftsorganisation an einem Christopher Street Day teilnehmen. Sexualität sei schließlich Privatsache und spiele im Beruf keine Rolle, hieß es. Es gab auch Unterstellungen, dass wir nur teilnehmen würden, weil wir gerne feiern und Party machen.

Zunächst: Ja, es hat Spaß gemacht und wir haben gefeiert. Aber die CSD-Parade ist in erster Linie eine politische Demonstration. Politische Demonstrationen müssen nicht ausschließlich ernst sein, sie können auch mit Spaß und Party verbunden sein. Das schmälert keineswegs den Grund oder die Aussagekraft der Demonstration.

Ich bin der Meinung, dass wir uns als Gewerkschaftsorganisation solidarisch zeigen sollten. Vor allem, wenn Mitglieder und Arbeitnehmende Diskriminierung erleben. Mit der sichtbaren Teilnahme an der Pride-Demonstration setzen wir ein Zeichen und unterstreichen, dass wir Diskriminierung nicht hinnehmen wollen.

Und ja, auch wenn das manche anders sehen mögen: Die sexuelle Identität hat durchaus mit dem beruflichen Alltag zu tun. Warum das so ist, möchte ich im Folgenden erläutern.

Knapp ein Drittel der Homosexuellen outet sich nicht

Homosexualität – beziehungsweise eine andere sexuelle Identität als die heterosexuelle – ist nach wie vor ein Tabuthema in vielen Verwaltungen und Unternehmen. Viele Berufstätige trauen sich nicht, offen mit ihrer sexuellen Identität am Arbeitsplatz umzugehen, wenn sie nicht heterosexuell sind.

30,6 Prozent der homosexuellen und 55,5 Prozent der bisexuellen Beschäftigten sprechen am Arbeitsplatz mit niemanden oder nur mit wenigen Kolleg*innen über ihre sexuelle Identität. Das geht aus einer Studie des Instituts für Diversity- und Antidiskriminierungsforschung (IDA) aus dem Jahr 2017 hervor. Gegenüber Führungskräften sprechen demnach 40,2 Prozent der homosexuellen und 60,8 Prozent der bisexuellen Mitarbeitenden nicht über ihre sexuelle Identität.

Was das mit den Betroffenen macht? Nun, es betrifft viele Ebenen: zum Beispiel das Foto des Partners oder der Partnerin auf dem Schreibtisch, das gar nicht erst hingestellt wird, und den Austausch in der Kaffeepause über das vergangene Wochenende, bei denen die Betroffenen das Thema Partnerschaft vollständig ausklammern.

Angst vor Diskriminierung oder die Sorge, Kolleg*innen eine Angriffsfläche zu bieten – die Gründe, warum homosexuelle oder bisexuelle Menschen ihre sexuelle Identität im Job verschweigen, sind vielfältig. Dabei fallen die Reaktionen nach einem Outing häufig weniger schlimm aus als erwartet. Das belegt die IDA-Studie: Von denen, die sich outeten, sagten 94,5 Prozent, dass die Kolleg*innen überwiegend positiv reagierten. Über die Vorgesetzten sagten das 91,1 Prozent.

Viele nicht heterosexuelle Beschäftige erleben allerdings auch andere Realitäten: Laut Erfahrungsberichten gibt es nach wie vor Vorurteile, Witze, abfällige Bemerkungen, Ausgrenzung und Mobbing.

Diskriminierung mindert Motivation und Produktivität

Diese Erfahrungen, die Angst vor ihnen und das aktive Vertuschen der eigenen Identität rauben Energie, Zeit und Kapazitäten. Oft sind die Betroffenen unzufrieden und unglücklich. Die Ressourcen könnten viel besser in die eigentliche Arbeit fließen oder in die Karriere. Wer unzufrieden und unglücklich ist, schöpft seine Potenziale nicht aus, macht nur Dienst nach Vorschrift oder kündigt im Extremfall.

Ich meine: Wir sollten dafür sorgen, dass sich alle am Arbeitsplatz wohlführen und ihre Potenziale entfalten können. Und nicht zuletzt sind Mitarbeitende, die aus eigener Erfahrung wissen, wie es ist, nicht zur Mehrheitsgesellschaft zu gehören, eine wertvolle Ressource. Gerade das kann im öffentlichen Dienst und seinen privatisierten Bereichen im alltäglichen Umgang mit verschiedenen Bürger*innen nur von Vorteil sein.

Fünf Maßnahmen für mehr Offenheit und Toleranz

Was kann der öffentliche Dienst also gegen die Diskriminierung und für die Unterstützung von nicht heterosexuellen Mitabreitenden sowie für ein offenes Betriebsklima tun?

Ich hätte da ein paar Vorschläge aus der bereits – leider noch zu wenig – gelebten Praxis:

  • Unterzeichnung und vollständige Umsetzung der Charta der Vielfalt, damit alle Beschäftigen diskriminierungsfrei in einem respektvollen Umfeld arbeiten können. Dazu zählt unter anderem die Kommunikation der Regelungen aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und der Charta der Vielfalt an die Mitarbeitenden.
  • Ernennung von hauptamtlichen LGBTQ-Beauftragten, an die sich Beschäftige wenden können, die aber auch mit Projekten und Initiativen die Gleichstellung vorantreiben
  • Förderung und Initiierung von Netzwerken für nicht heterosexuelle Mitarbeitende
  • Schulungen für Führungskräfte zur Umsetzung des AGG und der Charta der Vielfalt sowie zur Gleichstellung von LGBTQ+
  • Arbeitgeber*innen sollten ihre respektvolle Haltung gegenüber nicht heterosexuellen Mitarbeitenden offensiv in der Öffentlichkeit vertreten, indem sie sich zum Beispiel mit einem Wagen an CSDs beteiligen, alternativ mit Informationsständen.

Packen wir es gemeinsam an! Und ich freue mich darauf, auch im nächsten Jahr wieder auf dem Cologne Pride zusammen mit vielen lieben Kolleg*innen für Menschenrechte, Gleichberechtigung und Solidarität zu demonstrieren und so auch den Arbeitgebenden zu zeigen, dass wir als Gewerkschaftsorganisation eine klare Haltung haben und diese auch vertreten.   

Text: Henning Klemme