• Laut Gesetz haben nicht alle Sozialarbeitenden ein Zeugnisverweigerunsgrecht vor Gericht. Der Junge DBSH will das ändern. Foto: Colourbox

Tag der Sozialen Arbeit

Junger DBSH fordert Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeit

Anlässlich des Tages der Sozialen Arbeit am 19. März betont der Junge DBSH die Notwendigkeit, das Zeugnisverweigerungsrechts für alle Sozialarbeitende einzuführen. Weil es fehlt, kommt es im Berufsalltag oft zu schwierigen Situationen.

Bitte sagen Sie mir nichts, was strafrechtlich relevant ist. Sonst kann es sein, dass ich Sie verpfeifen muss. Anne Klotz, Sprecherin Junger DBSH

Es kommt vor, dass Anne Klotz, Sozialarbeiterin in Wiesbaden, diesen Satz direkt sagt, wenn sie einem neuen Klienten oder einer neuen Klientin das erste Mal begegnet. Laut aktueller Rechtslage sind Sozialarbeitende verpflichtet, in Strafverfahren vor Staatsanwaltschaft und Gerichten auszusagen, sofern eine Vorladung erfolgt. Es sei denn, sie sind in der Suchthilfe oder in der Schwangerschaftskonfliktberatung tätig – dann besteht ein Zeugnisverweigerungsrecht. „Ich habe mit Menschen zu tun, die direkt aus dem Gefängnis kommen“, berichtet Klotz, ebenfalls Sprecherin der Jugendorganisation des Deutschen Berufsverbands für Soziale Arbeit (DBSH). „Der Aufbau von Vertrauen ist für meine Arbeit zentral. Und die Leute vertrauen mir nicht, wenn sie wissen, dass ich im Extremfall gegen sie aussagen muss.“

Wer ein Zeugnisverweigerungsrecht hat, muss vor Gericht zu einer Person, welche die Staatsanwaltschaft vor Gericht anklagt, und dem angeklagten Sachverhalt keine Angaben machen. 2020 hat sich das Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit gegründet. Es verfolgt das Ziel, das bereits der Name widerspiegelt: die Aufnahme aller Mitarbeitenden der Sozialen Arbeit in die sogenannten geschützten Berufsgruppen, denen gesetzlich ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Aktuell sind das laut § 53 Abs. 1 der Strafprozessordnung unter anderem Geistliche, Strafverteidiger und Psychotherapeuten. Und eben Sozialarbeitende, die in der Sucht- und Schwangerschaftskonfliktberatung tätig sind. Dem Bündnis haben sich inzwischen mehr als 20 Vereine, Initiativen und Gewerkschaften angeschlossen.

Oft folgt Strafe auf Strafe

Anne Klotz arbeitet bei einem Bildungsträger mit Menschen, die Bürgergeld beziehen, sozial benachteiligt und oft unter schwierigen Verhältnissen aufgewachsen sind. Manche von ihnen haben nur Gewalt als Mittel kennengelernt, um mit Problemen umzugehen. „Die Betroffenen bekommen natürlich Anzeigen am laufenden Band“, berichtet Klotz. „Oft folgt Strafe auf Strafe, aber das ändert nichts“ – deshalb sei Präventionsarbeit von großer Bedeutung. An die Betroffenen heranzukommen. Ihnen Alternativen aufzuzeigen. Einen Raum zu geben, wo sie sich öffnen können. Kurzum: Vertrauen aufzubauen. „Viele sind ohnehin skeptisch, was Behörden angeht. Und die aktuelle Rechtslage macht es definitiv nicht einfacher.“

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Karlsruhe haben die Diskussion ums Zeugnisverweigerungsrecht im vergangenen Jahr neu entfacht. Was passiert war? Wie das Fußballmagazin „Kicker“ berichtet, sollen 24 Beschuldigte Pyrotechnik abgebrannt haben, vor einem Spiel des Karlsruher SC gegen den FC St. Pauli. Dabei seien mindestens elf Menschen verletzt worden. Der Vorfall ereignete sich im November 2022. Mitarbeitende des Karlsruher Fanprojekts hatten zwischen aktiver Fanszene und den betroffenen Fans vermittelt und die Geschehnisse aufgearbeitet. Als die Staatsanwaltschaft davon erfuhr, bestellte sie die beteiligten Sozialarbeitenden als Zeug*innen ein. Diese entschieden sich zu schweigen, um das ihnen entgegengebrachte Vertrauen nicht zu gefährden. Daraufhin verhängte die Staatsanwaltschaft Ordnungsgelder. Von der härtesten Sanktion, der Anordnung von Beugehaft, machte sie keinen Gebrauch.

Bundesregierung lehnt Forderung ab

Die Linkspartei hat die Ereignisse in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung aufgegriffen. „Der Fall aus Karlsruhe wird nicht nur in der Fanszene mit großer Sorge beobachtet, sondern mobilisiert auch das bundesweit tätige Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit“, heißt es in dem Schreiben vom 1. Dezember 2023.

Das Zeugnisverweigerungsrecht ist auf bestimmte Institutionen begrenzt, „um zu verhindern, dass die Ausübung des Rechts von Zufall oder Willkür abhängt oder dass unter seinem Schutz und Deckmantel illegale Ziele verfolgt werden“, führen die Linken-Politiker aus. Dies sei mit Blick auf Sozialarbeit nicht gegeben – die aktuelle Gesetzeslage torpediere die Sozialaufgaben, die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter übernehmen. Zudem sei es widersprüchlich, dass staatlich anerkannte Sozialarbeitende zwar der Schweigepflicht unterliegen (§203 Strafgesetzbuch), sich vor Gericht allerdings nicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen können. „Soziale Arbeit basiert auf Vertrauen. Vertrauen kann aber nur entstehen, wenn die Adressatinnen und Adressaten der Sozialen Arbeit nicht befürchten müssen, dass die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter später gegebenenfalls vor Gericht gegen sie aussagen müssen“, resümieren die Politiker*innen.

In ihrem Schreiben vom 22. Dezember 2023 antwortet die Bundesregierung, dass es verfehlt sei, die Vertrauensbeziehung vom Zeugnisverweigerungsrecht abhängig zu machen. Sie lehnt eine Ausweitung auf weitere Bereiche der Sozialarbeit ab. Das Bundesverfassungsgericht habe das „Gebot einer effektiven Strafverfolgung“ hervorgehoben und das Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung betont. Ein Zeugnisverweigerungsrecht schränke Ermittlungen empfindlich ein. Allen Berufsgruppen, denen es zusteht, sei gemein, „dass sich ihnen jemand im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit hilfesuchend anvertraut und der Schutz der Kommunikation geradezu zwingende Voraussetzung der notwendigen Inanspruchnahme der Hilfeleistung ist.“ In Bezug auf den Karlsruher Fall heißt es: „Die Situation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Fanprojekten und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern aus anderen Berufsfeldern ist hiermit nicht vergleichbar. Ihre Tätigkeit ist nicht dadurch gekennzeichnet, dass den durch sie betreuten und beratenen Personen Hilfe verwehrt wäre, wenn sie nicht sicher sein könnten, dass eine vertrauliche Kommunikation gewährleistet ist.“

DBSH schließt Willkür aus

Anne Klotz will das so nicht stehenlassen: „Ich halte diese Sichtweise für falsch und fahrlässig“, betont sie. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1972 habe sich einiges getan. „Die ganze Ausbildung hat sich geändert, es gibt einheitliche Standards, wir Sozialarbeitende sind staatlich geprüft.“ Deshalb sei die Befürchtung, Sozialarbeitende könnten willkürlich mit dem Zeugnisverweigerungsrecht umgehen, nicht mehr zeitgemäß. „Wenn wir ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, bedeutet das doch nicht, dass wir jederzeit darauf beharren“ – Sozialarbeitende könnten durchaus einordnen, ob es sich um einen Serienvergewaltiger oder um einen Menschen gehe, der im Supermarkt Lebensmittel gestohlen hat. 

Ob es Sinn ergibt, Klientinnen und Klienten stattdessen zu Psychotherapeuten zu schicken, die ein Zeugnisverweigerungsrecht haben? „Das passiert bereits, aber vor allem aus therapeutischen Gründen“, erklärt die Sozialarbeiterin. Abgesehen davon dauere es sehr lange, bis ein freier Therapieplatz zur Verfügung steht. „Bis dahin leisten wir in der Sozialen Arbeit wichtige Prävention. Und die wollen wir bestmöglich leisten.“

Text: cdi