• Junger Lehrer schreibt etwas an die Tafel, die Schüler*innen schauen zu.
    Satz mit X: Für viele angehende Lehrerinnen und Lehrer in Thüringen ist der Start ins Referendariat in diesem Jahr eine sehr holprige Angelegenheit. Foto: Colourbox

Nachwuchslehrer*innen in Thüringen

Holpriger Start ins Referendariat

Angehende Lehrer*innen in Thüringen müssen sich bei der Bewerbung an viele Fristen halten. Bildungsministerium und Schulämter schaffen es dagegen nicht, allen rechtzeitig eine Stelle zuzuweisen. Auch Schulleitungen erleben deswegen Überraschungen.

Der Thüringer Lehrerverband (tlv) kritisiert die schleppenden Zuweisungen - #staatklar sprach dazu mit Tim Reukauf, Sprecher des Jungen tlv.

#staatklar: Große Aufregung bei den Referendarinnen und Referendaren in Thüringen, die am 1. November in ihr Referendariat an den Schulen starten. Was ist denn da los?

Tim Reukauf: Einige angehende Lehrerinnen und Lehrer in Thüringen werden am 1. November, dem ersten Schultag nach den Herbstferien, wohl einigermaßen planlos in einem Schulsekretariat stehen. Der Vorbereitungsdienst, wie das Referendariat in Thüringen offiziell heißt, beginnt nicht für alle Lehramtsanwärterinnen und -anwärter reibungslos: Kurz vor den Herbstferien erreichten uns einige Mitteilungen von jungen Kolleginnen und Kollegen, aber auch von Schulleitungen, die uns davon berichteten, dass aus den Schulämtern die Zuweisungen noch nicht da seien. Damit wird den jungen Menschen die Chance genommen, Kontakt zu den Schulen herzustellen, sich dem Kollegium vorzustellen, den Schulschlüssel abzuholen und eventuell auch die betreuenden Lehrkräfte kennenzulernen. Ein Schulleiter berichtete uns, dass er erst am Freitag vor den Herbstferien die Information erhalten habe, dass am ersten Schultag nach den Herbstferien eine Lehramtsanwärterin an seine Schule kommt. Er hat danach den Kontakt zu dieser Kollegin hergestellt und sie bei einer Pause an ihrer Supermarktkasse erreicht. Dort arbeitet sie nämlich, seitdem sie ihr Studium beendet hatte. Auch sie war total überrascht, denn sie hatte noch gar niemand informiert. So hatte sie auch niemandem sagen können, dass sie die Stelle nicht annehmen kann - die Einsatzschule in Ostthüringen ist fast 100 Kilometer von ihrem Wohort entfernt, organisatorisch ohne Auto für die junge Kollegin nicht möglich. So wird sie bis zum nächsten Einstellungstermin im Februar 2023 weiter an der Kasse sitzen - hoffentlich. Denn schließlich gibt es zahlreiche andere, auch benachbarte Bundesländer, die ebenfalls dringend und händeringend nach zukünftigen Lehrpersonal Ausschau halten.

#staatklar: Muss man als junger Mensch nicht eine gewisse Flexibilität mitbringen?

Tim Reukauf: Natürlich - und diese Flexibilität bringen die meisten auch mit. Aber an dieser Stelle geht es nicht um Flexibilität im Sinne von Spontaneität. Es geht einfach um Planungssicherheit und den Punkt, dass man mit hochqualifizierten jungen Menschen, die überall so dringend gebraucht werden, so einfach nicht umgeht. Es geht hier nicht um eine*n Mitarbeiter*in oder sogar Beamt*innen, die bereits im Dienst sind und denen man am Montagmorgen mitteilt, dass sie oder er gerade dringend an einer anderen Einsatzstelle benötigt wird. Es geht auch nicht um die Kollegin, die für ein Schuljahr an eine benachbarte Schule abgeordnet werden soll. Es geht um junge Menschen, die ihr Studium in der Tasche haben, die meistens einem Übergangsjob nachgehen und die einfach in den meisten Fällen eine neue Wohnung für die Dauer des Vorbereitungsdienstes benötigen. Wie soll zum Beispiel die junge Kollegin innerhalb von zwei Wochen eine Wohnung finden, den Umzug organisieren und dann gut organisiert am ersten Schultag in der Schule stehen?! Ein Ding der Unmöglichkeit.

#staatklar: Das zuständige Kultusministerium reagierte mit Unverständnis auf die Kritik am Zuteilungsverfahren, sicherte aber zu, den Prozess optimieren zu wollen. Wie sähe das Optimum aus Sicht der Nachwuchs-Lehrkräfte aus?
Tim Reukauf: Überraschenderweise kam vom Thüringer Bildungsministerium keine Info nach dem Motto: Solche Vorfälle sind uns vollkommen neu und in Thüringen läuft alles. Hingegen gab es die Meldung, dass, wenn uns als tlv thüringer lehrerverband solche Fälle vorliegen, wir diese dem Haus doch bitte mitteilen sollen. Aber sieht so ein professioneller Umgang mit angehenden Lehrerinnen und Lehrern aus? Verzweifelte junge Kolleginnen und Kollegen suchen Hilfe bei uns. Es ist ja nicht so, dass sie nicht schon alles Erdenkliche unternommen hätten. Die jungen Kolleginnen und Kollegen sitzen ja nicht zu Hause und sagen sich: Hey, wenn sich keiner bei mir meldet, melde ich mich mal beim tlv thüringer lehrerverband. Uns teilten die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer mit, dass sie weder vom Bildungsministerium noch von dem jeweils zuständigen Schulamt eine Info erhalten, am Telefon regelrecht abgewimmelt werden.

Nach unserer Pressemitteilung, in welcher wir noch von Einzelfällen, die uns zu diesem Zeitpunkt vorlagen, sprachen, lief unser Mailpostfach voll: Immer mehr junge Kolleginnen und Kollegen, aber auch Schulleitungen meldeten sich mit ähnlichen Fällen. Das kann wirklich nicht angehen. Wie sähe also der Idealfall aus? Das Verfahren läuft aktuell so: Die Bewerbung muss zunächst online durchgeführt werden. Im Anschluss ist der Postversand notwendig. Dieser wird laut Merkblatt sogar als Einschreiben mit Rückschein empfohlen. Warum dieses Verfahren nach wie vor so kompliziert ist, können wir nicht erklären. Andere Bundesländer sind hier schon viel weiter. An dieser Stelle geht es auch gar nicht darum, dass dem Bildungsministerium eine entsprechende beglaubigte Geburtsurkunde oder ein Zeugnis vorliegt. Dies kann man an entsprechender Stelle im Schulamt nachholen - zumal die Unterlagen eh in den Schulämtern als personalführender Stelle liegen. Glaubt man in Thüringen, dass jemand ohne Geburtsurkunde ein Studium aufnehmen kann und wie bei "Fack ju Göhte" mit gefälschten Zeugnissen antanzt? Ich weiß es nicht. Ich möchte diese Fälle gar nicht ausschließen und halte eine Prüfung der Unterlagen für sinnvoll und nötig. Ob dies aber beim Bewerbungsprozess auf diesem umständlichen Weg passieren muss, ist fraglich. Thüringen leistet sich mit "Erste Reihe - #lehrerinthüringen" eine Kampagne und Internetseite, auf der ich für den Vorbereitungsdienst zwar alle Informationen erhalte. Für die Bewerbung werde ich dennoch auf die "alte" Internetseite verwiesen. Ein rein onlinegestützes Bewerbungsverfahren wäre hier wirklich wünschenswert und zeitgemäß. Und während die Arbeitgeberseite strikte Einhaltung von Terminen fordert - Kolleginnen und Kollegen, die zum 1.11.2022 ihren Dienst anfangen möchten, müssen sich bis zum 30.6.2022 beworben haben, fehlende Unterlagen müssen bis zum 15.9.2022 nachgereicht werden - schaffen es Bildungsministerium und die nachgeordneten Schulämter nicht, allen Nachwuchslehrer*innen, die sich an jede Frist gehalten haben, rechtzeitig eine Stelle zuzuweisen.

#staatklar: Sind ähnliche „Zustände“ aus anderen Bundesländern bekannt?

Tim Reukauf: Oh ja. Wir im VBE Verband Bildung und Erziehung, dessen Landesverband in Thüringen der tlv thüringer lehrerverband ist, sind im regen Austausch, und die Probleme sind uns auch aus anderen Bundesländern bekannt. An vielen Stellen ist das Problem einfach folgendes: Die Zahlen der Einstellungen gehen zum Glück nach oben, die Zahl der Sachbearbeitenden in den Ministerien oder Schulämtern ist aber nahezu konstant, sodass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einfach mit den Verfahren nicht hinterherkommen. Von "bei uns läuft alles super" bis zu "es geht auch noch chaotischer" ist alles dabei.

#staatklar: Der Umgang mit Jung-Lehrer*innen scheint generell wenig wertschätzend zu sein. Alle Jahre wieder ist ja auch das Phänomen der großen Sommer-Arbeitslosigkeit zu beobachten, wenn insbesondere Berufseinsteiger*innen vor den Sommerferien gekündigt werden ohne zu wissen, ob und, falls ja, wo sie nach Ferienende wieder eingesetzt werden. Welche Auswirkungen hat es auf die Motivation und mittelbar auf die Bildungsqualität, wenn man die Bildungsprofis wie Tagelöhner behandelt, anstatt ein vertrauensvolles Dienstverhältnis mit ihnen zu pflegen?

Tim Reukauf: Aus anderen Bundesländern sind uns Modelle bekannt, wo Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter bereits im Vorbereitungdienst eine Planstellenzuweisung erhalten - natürlich unter der Voraussetzung, dass sie ihr 2. Staatsexamen erfolgreich bestehen. Dies nimmt auf der einen Seite ein wenig den Druck und gibt auf der anderen Seite das Stück Planungssicherheit, was auch junge Kolleginnen und Kollegen oftmals vermissen. Wenn ich weiß, dass ich eventuell an meiner Schule bleiben kann oder auch, dass ich eine andere Schule zugewiesen bekomme, kann ich die entsprechend notwendigen Dinge planen und in die Wege leiten: Wohnungssuche, Umzug, und und und.

#staatklar: Vielen Dank für diese spannenden Einblicke. Wir wünschen allen Nachwuchslehrerinnen und -lehrern, die in diesen Tagen in den Vorbereitungsdienst aka Referendariat starten, trotz aller Widrigkeiten einen guten Start ins Schulleben!